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Exklusive Kurzgeschichten aus der Vampirsaga Bekehrt

 

 

 

 

 

 

Jayrims Verwandlung

 

„Ihr seid spät!“ bellte der wachhabende Mann mürrisch, als er hinter unseren dampfenden Pferden das schwere Tor schloss.

Eigentlich hatte ich eine passende Antwort auf den Lippen, doch ich war, wie mein Pferd, vollkommen erschöpft. Ich und meine Kameraden waren sechs Stunden am Stück geritten um die Festung von Anka zu erreichen. Es war das letzte Lager unserer Armee vor den feindlichen Linien des Sultans, der darauf drängte mit seinen lumpigen Kriegern in unser Land einzufallen.

Ich hatte schon viel über das Heer der Osmanen gehört. Nichts davon war gut gewesen. Sie verfügten über ausgezeichnete Waffen und Strategien mit denen sie uns zu Leibe rücken wollten. Bis her war es nur einem unserer Feldherren gelungen ihnen die Stirn zu bieten. Fürst Draculea der Woiwode der Walachei hatte sich auf grausamste Art und Weise einen Namen bei seinen Feinden, wie Verbündeten gemacht, der weit über die Landesgrenzen hinausreichte. Ich selber war ihm noch nicht begegnet, umso mehr war ich gespannt darauf, was mich ab Morgen erwarten würde. Von meterhohen Pfählen war die Rede gewesen, auf denen der Fürst seine Gegner bei lebendigem Leib aufzuspießen pflegte. Zur Abschreckung und Warnung für all Diejenigen die es wagten ihn herauszufordern.

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Die heisere Stimme unseres Kommandanten riss mich aus meinen Gedanken. „Bringt eure Pferde da drüben in den Stall, um den Rest kümmern sich die Burschen.“ Meine Kammeraden und ich taten wie uns geheißen. Obwohl der lange Ritt mir übel in den Knochen steckte war ich zu aufgeregt, als das ich bereits an Schlaf denken konnte. Zum Mal lautes Gelächter und der Geruch nach Bier und Gebratenem zu uns herüber wehte. Mein Magen knurrte wie ein gereizter Bär. Mein Waffenbruder Adrian, der neben mir sein Pferd mit einem Klaps auf die Kruppe verabschiedete, grinste.

„Schnell bringt Jayrim zum Futtertrog, bevor er noch über sein Reittier herfällt!“

Ich drohte ihm scherzhaft mit der Faust. Wir verstanden uns vom ersten Tag an prima. Adrian war wie ich durch „unglückliche“ Umstände zur Armee gekommen. Er hatte zwar nicht wie ich die Tochter seines Herrn verführt, aber sein hang Dinge zu nehmen, die ihm nicht gehörten und sich dabei erwischen zu lassen waren ihm zum Verhängnis geworden. Nun teilten wir also beide das Schicksal für unser Land in den Krieg ziehen zu müssen.

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 Zusammen marschierten wir nun hinter unserem Kommandanten her. Das Lager hatte eine kleine Schänke in der nicht nur getrunken sondern auch Karten gespielt wurde. Dazu gab es fettige Würste und dampfenden Kohleintopf, den eine pausbäckige, dralle Schönheit mit eng geschnürtem Mieder servierte. Ihr großzügiges Dekolleté bannte meinen Blick, bis mir Adrian schmerzhaft in die Seite stieß. „Füll erst mal die Krüge, bevor du über andere Sachen nachdenkst.“ Neckte er mich. Leider kannte er mich und meine Schwäche für schöne Frauen, nur allzu gut. Seufzend ließ ich mich von ihm auf einen Schemel drücken und die erste Runde Bier bestellen.

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Die Bedienung stellte die vollen Humpen und das Essen mit einem schelmischen Lächeln vor uns ab. Ihre verschwitzen schwarzen Locken hatte sie unter einer breiten Haube geschoben, was ihre attraktiven Züge noch mehr betonte. Ihre grünen Katzenaugen fixierten mich und ich sah darin die Zustimmung, dass ich ihr ebenfalls gefiel. Mein Plan stand also fest. Erst würde ich mit meinen Kameraden speisen und danach, wenn die Gelegenheit günstig war und die meisten Biere getrunken, würde ich mir noch etwas anderes abholen.

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Als ich den Krug an die Lippen setzte und dabei den Blick schweifen ließ, fiel mir ein Mann ins Auge, der mit dem Rücken zu mir am Tresen lehnte. Seine Statur war beeindruckend. Obwohl ich alles andere als kleingewachsen war überragte mich der Kerl noch um gut um einen Kopf. Sein weißblondes Haar war zu einem dichten Pferdeschwanz gebunden, der wie eine lange Schlange zwischen seinen breiten Schulterblättern lag. Ein Krieger, wie er im Buche stand. Das Schwert, das er mit sich führte zeugte von Schmiedekunst. Ich hätte es mir gerne näher angeschaut, doch nun galt es sich erst einmal ein paar Würste zu sichern, bevor die Platten leer waren.

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Der ersten Runde gegärten Hopfens folgten noch weitere und schon bald fühlte ich mich in der richtigen Stimmung der Bedienung meine Aufwartung zu machen. Adrian und die anderen hatten sich dem Kartenspiel zu gewandt und damit war der Weg für mich frei. Meine Strategie stand fest. Erst würde ich ihr ein paar Komplimente machen, was bei ihrem Äußeren nicht schwer fiel und dann…

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Ich hatte den Tresen fast schon erreicht, als der weißhaarige Hüne sich plötzlich zu mir umwandte und mir den Weg versperrte. „Guten Abend mein Freund!“

Seine dunkle Stimme passte zu seinen herben Zügen. Ein kantiges, bartloses Kinn mit auffälliger Adlernase und dann diese Augen!

Strahlend blau, wie die gefrorene Oberfläche eines Bergsees. Der Blick, der mich daraus traf fesselte mich von der ersten Sekunde an. Alles um mich herum verblasste und wurde unwichtig. Meine Kameraden, die Bedienung, alles war vergessen. Da war nur noch dieser Mann und seine hypnotische Stimme. „ Mein Name ist Cosmin und ich beobachte euch schon lange Jayrim Gallo. Ihr seid mit Talent gesegnet was das Kämpfen angeht, dazu besitzt ihr Siegeswillen. Ich bin immer auf der Suche nach Männern wie euch für das Heer, das ich führe.“

Woher zum Teufel kannte dieser mir völlig fremde Kerl meinen Namen? Und wann hatte er mich beobachtet? Ich versuchte verzweifelt einen klaren Gedanken zu fassen, aber mein Kopf schien nur noch aus zähem Sirup zu bestehen. „Ich stehe bereits im Dienste. Ihr werdet mit meinem Feldherren über mich verhandeln müssen.“ Hörte ich mich lallen, als hätte ich zu viel von dem starken Bier genossen.

Doch der Mann grinste nur schief. „Macht euch darüber keine Gedanken. Es liegt allein in eurer Hand.“ Er nickte mit dem Kopf kurz in Richtung Eingang. „Es wäre schön wenn wir uns für einen Moment ungestört unterhalten könnten. Folgt mir bitte.“

Er hatte es als Bitte formuliert, doch es war ein Befehl, dem ich nachkommen musste. Ich hatte keine andere Wahl. Meine Beine schienen ihm wie treue Hunde zu gehorchen. Er führte mich bis zu den Ställen, in den leise die Pferde rumorten. Niemand außer uns war in der Dunkelheit auszumachen. Die kalte Nachtluft machte mich kurz ein wenig klarer.

„Was hat eure Armee mir denn überhaupt zu bieten?“ fragte ich frech, während er sich erneut zu mir umwandte. „Oh eine Menge Gallo, eine Menge!“

Nach diesen Worten verging nicht mehr als ein Wimpernschlag und ich wurde mit voller Wucht an der Kehle gepackt! Ich spürte Finger, so fest wie die Bügel eines Fangeisens, die mir die Luft zum Atmen nahmen, während meine Füße vom Boden abhoben.

Vor meinen weit aufgerissen Augen erschien das breite Lächeln des Hünen, der mich wie ein hilfloses Kind, völlig mühelos einfach hoch hielt. Seine Augen waren jetzt so hell, das ich glaubte sie würden von innen heraus leuchten und dann seine Zähne!

Voller Entsetzen schnappte ich nach Luft. Das musste eine Illusion sein! Ein Trugbild meiner benebelten Sinne! Kein Mensch hatte Zähne wie ein Raubtier!

Ohne ein weiteres Wort zog er mich an sich und bevor ich auch nur einen Laut über die Lippen bringen konnte, spürte ich einen brennenden Schmerz, der meine Kehle durchfuhr wie eine glühende Klinge!

Noch einmal versuchte ich mich zu wehren. Doch meine Kräfte verließen mich so rasch, dass ich bereits dunkle Schatten vor meinen Augen tanzen sehen konnte.

Plötzlich war da wieder sein Gesicht, dicht vor meinem! Sein bleiches Kinn rot von meinem Blut. Erst jetzt begriff ich es, er hatte mir seine Zähne in den Hals gejagt und nicht nur das. „Höre mein Angebot Jayrim Gallo!“ Wisperte seine Stimme in mein Ohr. „Wenn du fortan bereit bist mir und meinem Clan zu dienen, wirst du ein Teil unserer unsterblichen Armee werden. Stark wie zwanzig Mann, sicher vor Krankheit und Leid. Lehnst du mein Angebot ab, dann ist das hier und jetzt dein Ende. Also wie lautet deine Entscheidung?“

Die dunklen Schatten wurden größer und sie hätten mich für immer verschlungen, wenn ich nicht meine letzten Kräfte mobilisiert hätte.

„Leben!“ krächzte ich noch einmal heraus. „Ich will leben!“ Nun hörte ich ihn leise lachen. „Dann sollst du leben!“ Mit diesen Worten spürte ich wie etwas Nasses, Warmes meine trockenen Lippen benetzte. Ich schluckte hustend. Welch ein Geschmack! Welch eine Süße!

Noch nie zuvor hatte ich so etwas Köstliches getrunken. Ich wollte mehr davon, viel mehr! Gierig leckte ich nach dem nächsten Tropfen, doch der Strom wurde mir je entrissen.

„Das ist genug!“ tönte Cosmin in meinen halb tauben Ohren. Niemals! Davon konnte es nicht genug geben, wollte ich protestieren, aber mein Mund und meine Zunge gehorchten mir nicht mehr. Sie versanken in einer brennenden Woge aus Schmerz und Qual, als sich der süße Nektar binnen Sekunden in ein reißendes Feuer verwandelte, das sich durch jede einzelne Faser meines Körpers fraß.

Meine Sinne verdunkelten sich, als ich endlich in eine gnädige Ohnmacht fiel. Das letzte was ich spürte, war mein Herz, das eben noch voller Angst in meiner Brust gerast hatte, und das nun immer schwächer schlug, bis der letzte Ton in meinen Ohren verhallte.

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​Weihnachtsgeschichte

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​​​​​Almahr stellte den leeren Pokal, an dem noch ein letzter Blutstropfen klebte, mit einem zufriedenen Schmatzen zurück auf das Tablett. Anschließend lehnte er sich in das dicke Daunenkissen. Sein Blick glitt durch das komfortable Zimmer, in dem er von Regus untergebracht worden war.

Ja, es gab keinen Zweifel daran, Luxus hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn er dies niemals vor seinem Blutsvater zugegeben hätte und schon gar nicht Ekarius gegenüber. Seine Mundwinkel zogen sich kurz nach unten. Da hätte er sich doch lieber die Zunge abgebissen. Es war schon schlimm genug, die Gegenwart seines Bruders ertragen zu müssen, aber dies ließ sich an solchen Tagen wohl nicht vermeiden. Stöhnend warf er den Kopf zurück.

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Eigentlich hatte er nach einer Ausrede Ausschau gehalten, die ihm dieses Familienfest ersparte, doch Regus hatte mal wieder das richtige Mittel gefunden, um ihn in letzter Minute seinen Willen aufzuzwingen. Dieses Mittel hieß Theresia. Der Gefährtin seines Blutsvaters, die ihn wie eine Mutter behandelte, konnte er keinen Wunsch abschlagen. Dies wusste Regus ganz genau und hatte Theresia vorgeschickt. Die bat ihn inständig darum, dieses Jahr das Weihnachtsfest mit ihnen im Familienkreis zu verbringen. Er konnte nicht anders, er hatte  ja sagen müssen, auch wenn er es jetzt schon aus tiefsten Herzen bereute.

Trotz der dicken Teppiche am Boden und an den Wänden konnte er schlurfende Schritte auf dem Flur vernehmen. Das war bestimmt Jacobus, das alte Scheusal. Der Lieblingsghoul von Regus war vermutlich von seinem Meister geschickt worden, um ihn zu wecken.

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Wie aufs Stichwort wurde jetzt unsanft gegen die Zimmertür gepoltert. „Aufstehen!“, drang es daraufhin unwirsch durch das Holz. „Der Predict von Prag verlangt nach eurer Anwesenheit!“

Almahr wusste, es hatte keinen Zweck den Diener zu ignorieren. Er würde so lange weiter machen, bis er Antwort erhielt oder ein Loch in der Tür war. Also ließ er ebenso unhöflich verlauten: „Ich komme, sobald ich eine Hose am Leibe trage!“

Damit schien sich der ehemalige Mönch zufrieden zugeben. Almahr konnte hören, wie er brummelnd wieder von dannen schlich.

Noch einmal stieß er einen tiefen und lang gezogenen Seufzer aus, dann machte er sich daran aufzustehen. Es nützte alles nichts. Mit schiefem Blick betrachtete er die herausgelegte Garderobe des heutigen Abends. Dem Anlass entsprechend feierlich, ganz so wie Regus und Theresia es sich wünschten. Die Augen verdrehend ging er ins angrenzende Badezimmer hinüber. Dort wartete zu seiner Freude, eine bereits mit warmen Wasser und Schaum gefüllte Wanne auf ihn.

Währenddessen, viele Kilometer entfernt …

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                                                                        ***

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Alice rieb schnaubend die klammen Hände aneinander[, auch wenn klar war, dass ihr das gegen die Kälte nicht viel helfen würde. Ihre Fingerspitzen hatten bereits seit Tagen die Farbe von reifen Blaubeeren. Es war aber auch furchtbar kalt. Nicht, dass sie nicht wusste, was Kälte für den Körper bedeutete.

Auch in den Bergen, aus denen sie kam, war es zu dieser Jahreszeit eisig, doch da hatte es immer ein wärmendes Feuer in der Stube gegeben. Sehnsüchtig dachte sie an die prasselnden Flammen und an den Kachelofen, an welchem sie und ihre Schwestern bei schummrigen Kerzenschein die Wäsche geflickt oder Wolle gesponnen hatten. Damals war ihr die Arbeit öd und fade vorgekommen. Jetzt erschien ihr diese Tätigkeit, gerade zu traumhaft. Doch genau dies, würde es bleiben. Ein Traum.

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Wie um zu beweisen, dass die Wirklichkeit momentan ganz anders aussah, spürte sie auf einmal ein Schwall schmutziges Wasser  im  Gesicht. Vollkommen überrascht japste sie nach Luft. Sie hatte die heranfahrende Kutsche nicht bemerkt und der griesgrämige Mann auf dem Bock interessierte es nicht, dass er zu nah am Rinnstein entlang fuhr und die Räder der Kutsche sie von oben bis unten mit Schneematsch und Wasser vollspritzten.

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Ihr Erbostes: „Hey!!“, verhallte ungehört. Wütend wischte sie sich die Tropfen von den Wangen. So jemand wie sie existierte schlichtweg nicht. Jedenfalls nicht für die Herrschaften, die nicht wie sie auf der Straße lebten.

Kokki hatte recht, wenn er sagte: „Wir sind für sie nichts als Bodensatz, Alice, genauso viel Wert, wie der Dreck unter ihren Schuhen.“

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Kokki! Ihr fiel wieder ein, wohin sie eigentlich unterwegs war. Hastig beschleunigte sie ihre Schritte. Sie hatte ihrem alten Freund versprochen, ihn heute Abend zu besuchen. Auch wenn ihr insgeheim davor furchtbar graute, sie musste es tun.

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Das Siechenhaus, wie es von allen nur genannt wurde, lag zwar am Rande des Stadtkerns, aber immer noch innerhalb der Stadtmauern. Die Nonnen, die dort für die Pflege der Kranken zuständig waren, galten trotz ihres christlichen Tuns nicht gerade als freundlich. Im Gegenteil, aber wer konnte es ihnen verdenken. Tag ein,  Tag aus, mussten sie mit ansehen, wie bereits vom Tod gezeichnete in ihrer Obhut starben. Gesund verließ in der Regel niemand mehr dieses Gemäuer.

Alice  Magen krampfte sich zusammen. Kokki war seit einer Woche, auch einer von ihnen. Sein Husten war so schlimm geworden, dass sie keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatte, als ihn dorthin zu bringen. Hier gab es wenigstens ein festes Dach über dem Kopf, auch wenn er sich das Lager mit Leuten teilen musste, die allesamt genauso fürchterlich vor sich hin husteten, wie er.

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Ihre Füße rutschten über das vereiste Pflaster und erinnerten sie daran, besser aufzupassen wohin sie trat, bevor sie noch das Gleichgewicht verlor. Sie fasste in einer der Taschen ihres löchrigen Mantels. Neben einem Kerzenstumpf und Zündhölzern fand sie, was sie gesucht hatte. Ein kleines Päckchen, eingewickelt in einem Stück alter Zeitung und doch so kostbar wie ein Schatz. Ihre kalten Finger umschlossen es ganz fest, als befürchteten sie, es könnte ihr entschlüpfen und aus der Tasche hüpfen.

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                                                                       ***

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Almahr ließ die Tür seines Zimmers achtlos hinter sich ins Schloss fallen. Als er über den Flur Richtung Bibliothek marschierte, strich er sich noch einmal die mühsam gezähmten Locken aus dem Gesicht. Dieser ganze Aufwand und das alles nur, für diesen einen Abend, dessen Bedeutung ihm geradezu absurd vorkam. Kopfschüttelnd stieg er die breite Treppe hinunter, die ihn zur Bibliothek führte. Weihnachten, das Fest von Christi Geburt, gefeiert in einem Haus voller Vampire.

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Fast wäre er in lautes Lachen ausgebrochen. Stattdessen betrat er nun den Raum, den Regus als sein Refugium bezeichnete. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug selbst ihm die Sprache.

Eine riesige Tanne ragte vor ihm auf, deren Spitze bis weit über die hoch gelegene Galerie reichte. Die dichten Äste waren über und über mit kostbaren dünnwandigen Kugeln besetzt, die im Licht unzähliger Kerzen funkelten, als wären sie aus Gold und Silber. Als er staunend näher trat, erkannte er sogar einige Figuren: kleine Schaukelpferde aus Holz, einen Nussknacker und sogar Engel, die mit ausgebreiteten Flügeln umher zu schweben schienen. Die buchstäbliche Krönung allerdings thronte ganz oben auf des Baumes Spitze. Ein Stern aus Papier, in dessen Mitte ein Gesicht zu erkennen war. Zuerst glaubte er, das Christkind zu sehen, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

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Er merkte erst wie ihm der Mund offen stand, als Regus neben ihn trat. „Guten Abend mein Sohn! Wie ich sehe, bist du von Theresias und Ophelias Arbeit genauso beeindruckt wie ich.“ Auf dem bärtigen Gesicht seines Blut- und Ziehvaters breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus.

Almahr hatte sich indessen von der Überraschung erholt. „Wenn du mich schon nach meiner ehrlichen Meinung fragst. Ich finde es ein wenig übertrieben.“ Er deutete mit dem Finger auf die Tannenspitze. „Und damit meine ich im Besonderen das da!“

Das Lächeln auf Regus’ Gesicht wich jetzt einem breiten Grinsen, während er sich verschwörerisch zu ihm hinüber beugte. „Ich stimme dir zu, aber Ophelia hatte es sich bereits in Paris anfertigen lassen und Theresia hat es nicht über sich gebracht, sie davon abzuhalten es aufzuhängen.“

Almahr stöhnte. „Der Stern von Bethlehem und dann noch mit ihrem Gesicht. Das grenzt wirklich an Blasphemie!“ In diesem Moment öffnete sich hinter  ihnen die Tür mit einem leichten Knarren.

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                                                                      ***

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Alice hatte ihr Ziel endlich erreicht. Vor ihr ragte der abgetretene Aufgang des Gebäudes empor, hinter dessen grauer Fassade das Elend und der Tod zu Hause waren. Schon unmittelbar hinter der abgeschrammten Tür empfing einen der üble Geruch von Exkrementen jeglicher Art, dazu das unheilvolle Stöhnen und Jammern trockener, fiebriger Kehlen.

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So schnell sie konnte, huschte sie über den langen dunklen Flur, vorbei an ausgemergelten Körpern, die wimmernd nach ihren Füßen griffen, wohl in der Hoffnung, dass sie etwas gegen das Leid der Jammernden unternahm. Doch sie konnte nichts tun. Niemand konnte das.

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Als sie den Raum erreichte, in dem ihr Freund untergebracht war, musste sie noch einmal über ein Bündel Stoff hinweg steigen, aus dem ein bestialischer Gestank emporstieg. Alice verzog angewidert das Gesicht. Brandkalk! Der scharfe Geruch hatte ihr schon bei ihrem ersten Besuch buchstäblich in die Nase gestochen. Eine der eher wortkargen Schwestern hatte ihr mürrisch erklärt, dass man damit versuchte, so etwas wie Sauberkeit zu erzeugen. Nicht wirklich erfolgreich, wie Alice fand.

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Kokki hatte ihr Erscheinen bereits bemerkt, obwohl es im Raum fast finster war. Licht gab es nur aus einer einzigen Laterne, die neben der Tür hing, und so musste Alice sich mühsam zu ihrem Freund vortasten. Sein hageres Gesicht blickte aus fiebrig glänzenden Augen zu ihr auf.

„Alice!“, hauchte er heiser, bevor er hustend die Hand vor den Mund hielt.

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Alice lächelte gequält. Zu ihrem Glück konnte ihr Freund ihre Verzweiflung nicht sehen, weil er immer noch damit beschäftigt wa, nach  Luft zu schnappen. Schnell ließ sie sich neben seinem kargen Strohlager nieder.

„Hallo Kokki. Ich hab dir doch versprochen zu kommen.“ Sie holte ihren Kerzenstumpf hervor, entzündete ihn und stellte das schwache Licht zwischen sie auf den Boden.

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Kokki hatte sich mittlerweile ein wenig erholt, auch wenn er immer noch so aussah, als kostete es ihn viel Mühe, Atem zu schöpfen. Sein Anblick war kaum zu ertragen. Er war immer schon schrecklich dünn gewesen, doch jetzt spannte sich seine Haut über den Vorsprüngen seines kantigen Schädels. Seine blauen, aufgesprungen Lippen, kräuselten sich zu einem dünnen Lächeln.

„Ja, das hast du.“ Seine Stimme klang wie ein undichter Blasebalg.

Schnell wandte Alice den Blick ab und kramte nach dem Päckchen. „Ich hab dir auch was mitgebracht.“ Sie holte den kleinen Schatz hervor. „Für dich! Frohe Weihnachten!“

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                                                                        ***

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„Ist der Baum nicht eine Pracht?“, fragte Ekarius zum wiederholten Male, wobei er effekthaschend um sich schaute. Theresia und er waren lachend und schwatzend durch die Tür geglitten und hatten sich zu ihnen gesellt.

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Almahr widerstand nur mühsam dem Drang, eine abfällige Bemerkung fallenzulassen. Sein Bruder liebte es zu gefallen, egal, wie sehr er sich dafür auch anbiedern musste. Regus hatte allen ein Glas in die Hand gedrückt, in dem eine gelbliche Flüssigkeit vor sich hin perlte.

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Almahrs fragender Blick, wurde von Theresia beantwortet. „Ophelia hat den Schaumwein mitgebracht. Sie liebt Champagner, sagt sie, er würde so schön auf der Zunge prickeln.“

Natürlich, wer sonst würde auf diesen lächerlichen Einfall kommen.

Wie aufs Stichwort kam nun die ehemalige Gefährtin seines Bruders hereingerauscht.

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Almahr schluckte. Er hatte geglaubt, der Tannenbaum mit seinem Schmuck wäre schon mehr als überladen, doch er musste zugeben, dass dieser, im Vergleich zu Ophelia, gerade zu karg wirkte.

Die in seinen Augen ohnehin überkandidelte Vampirin hatte sich in ein Kleid geworfen, welches in seinen Ausmaßen und Verzierungen eher auf einen Rokokoball gepasst hätte. Und dann auch noch diese Frisur!

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Sie war ein Konstrukt aus falschen Zöpfen, Schleifen und Spangen, welches jeden Vogel dazu einlud, darin sein Nest zu bauen.  Die Vorstellung wie kleine Spatzen um ihren Kopf herumschwirrten und dabei etwas fallen ließen, brachten ihn zum Schmunzeln.

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Ophelia, die sich in diesem Moment umwandte, interpretierte seine Heiterkeit allerdings falsch. „Ah, anscheinend gefällt dir was du siehst!“ Sie spitzte  die  Lippen und  ließ offen, wen sie damit meinte, sich oder den Baum. Bei beiden lag sie falsch.

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Ekarius ließ ein lautes Räuspern hören. Anscheinend hatte er Ophelias zweideutigen Ton auch bemerkt. „Wir sollten nun anstoßen und dann folgt...“, er machte eine alberne, dramatische Pause um dann zu krähen, „... die Bescherung!“

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                                                                          ***

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Alice half Kokki dabei, das kleine Geschenk auszuwickeln. Seine zittrigen Finger schafften es nicht allein. Als er erkannte, was sie ihm da mitgebracht hatte, weiteten sich seine Augen vor ungläubiger Freude. „Wo hast du das denn her?“ Wieder erklang der gemeine Husten.

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„Aus dem schwarzen Keiler“, antwortete Alice verschmitzt. „Ich hab Maria, die Frau des Wirts gebeten mir etwas zu besorgen. Es ist nicht viel aber immerhin.“ Sie erzählte ihm nicht, dass es sie die Einnahmen einer ganzen Woche gekostet hatte. Sie zog nun das Jagdmesser ihres Vaters hervor und nahm ihm das kleine Stück Speck aus der Hand, um es zu zerschneiden.

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Kokki sah ihr mit hungrigem Blick dabei zu. Als sie ihm das erste Stück reichte und es zwischen seinen blauen Lippen verschwand, entfuhr ihrem Magen ein lautes Knurren.

Er sah sie aufmunternd an. „Du wirst mich doch an solch einem Abend nicht alleine speisen lassen?“

Seine hochtrabende Wortwahl brachte sie trotz allem zum Lachen. „Aber es ist dein Geschenk und außerdem hast du es viel nötiger als ich!“

Doch der kranke Taschendieb wollte nichts davon wissen. „Es ist Heiligabend Alice, da isst die Familie zusammen!“

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Also nahm sie sich von dem weiß glänzenden Speck. Sie mussten sich bei ihrem Festessen beeilen, denn wenn die anderen um sie herum mitbekamen, welchen Luxus sie sich gönnten, wollten sie mit Sicherheit auch etwas abhaben.

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                                                                         ***

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Almahr ließ den Blick immer öfter zu der großen Standuhr wandern, deren Pendel leise im Takt hin und her schwang. Leider verging die Zeit einfach nicht. Das alberne Champagnergetrinke hatte endlich ein Ende gefunden, doch was danach folgte war auch nicht viel besser. Die Bescherung entpuppte sich als reine Groteske.

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Ekarius hatte es fertig gebracht, Regus eine Bronzefigur zu schenken. Ein Jüngling auf einem Pferd, angeblich die Nachbildung eines jüngst gefunden Stücks aus der Zeit des Hellenismus. Regus’ Freude darüber war nicht gespielt.

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Zu Almahrs Überraschung schien ihm diese Figur durchaus vertraut, nur musste es wirklich ein Pferd in Originalgröße sein? Wo sollte der sperrige Gaul denn bitte schön stehen? Theresias Geschenk hingegen war klein, aber dafür umso wertvoller. Ein mit Diamanten besetztes Collier, welches um ihren schmalen Hals wirkte wie ein überdimensionales Hundehalsband.

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Von Ophelia gab es dazu das passende Diadem, welches sie sich wohl lieber selbst ins toupierte Haar gesteckt hätte. Regus war dank Ophelia nun der stolze Besitzer einer goldenen Schreibfeder, von denen er bereits etliche in seiner Schreibtischschublade verwahrte. Ekarius allerdings wurde von ihr nur mit einem Paar einfachen Manschettenknöpfen abgefertigt, die zwar auch alles andere als billig gewesen sein mussten, ansonsten aber davon zeugten, wie egal er ihr inzwischen war.

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Fast tat Ekarius Almahr leid. Seine ehemalige Gefährtin hatte ihn sang und klanglos abserviert, tat aber weiterhin so, als wäre sie Teil dieser Familie.

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„Für dich habe ich noch ein ganz besonderes Geschenk!“, hatte sie ihm verheißungsvoll zu gegurrt, als er sein Päckchen von ihr überreicht bekam. Das klang eher nach einer Drohung als nach etwas worauf man sich freuen sollte. Sie hatte ihm eine aufwendig verzierte Krawattennadel besorgt, die zudem seine Initialen trug. Na gut, die ließ sich wunderbar zu Geld machen.

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Den ganzen Abend über durfte er sich nun anhören, wie klug und gewissenhaft Ekarius die Interessen der Familie Finandes in der Vampirgesellschaft vertrat. Dazwischen mischte sich immer wieder Ophelias schrille Stimme, die darüber schwadronierte wie modern und aufregend Paris doch sei. Es war eine Qual.

Im Stillen dachte er darüber nach, wie er stattdessen den Abend hätte verbringen können. Vor seinem geistigen Auge sah er sich in einem Salon sitzen. Um ihn herum, junge Damen, in der Gesellschaft ihrer Eltern, die mit ihren langen schlanken Hälsen nur darauf warteten, von ihm zum Tanzen auffordert zu werden. Nach dem Tanzen hätte er sich dann in einer abgeschiedenen Ecke an ihrem warmen sprudelnden Blut gelabt.

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Regus fragende Stimme riss ihn je aus seinen Träumereien.

„Wie wäre es mit ein bisschen frischer Luft?“

Almahr der seinem Blick zur Terrassentür gefolgt war, nahm den Vorschlag dankbar an. Anscheinend brauchte sein Blutsvater auch eine Pause von dem ganzen Zirkus hier.

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                                                                      ***

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Alice wischte sich den letzten Rest ihrer kleinen Weihnachtsmahlzeit von den Lippen. Sie konnte schwerlich behaupten, dass sie satt war, trotzdem fühlte sie sich so wohl wie schon lange nicht mehr, wenngleich sie hier zwischen all den todkranken Menschen saß. Auch Kokki erschien ihr plötzlich nicht ganz so traurig und niedergeschlagen wie zu Beginn ihres Besuchs.

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„Das war sehr lieb von dir!“ Er hatte sich ein wenig aufgerichtet.

„Gern geschehen.“ Das meinte sie, wie sie es sagte. Sie hatte ihm viel zu verdanken. Nur durch ihn hatte sie gelernt auf der Straße zu überleben. Da war es das Mindeste, dafür zu sorgen, dass er wenigstens an diesem heiligen Tag so etwas wie eine Mahlzeit bekam, die man kauen und nicht bloß trinken konnte. Sie dachte an die fade, dünne Brühe mit denen hier die Schwestern umher gingen und die mehr aus Wasser, denn aus etwas anderem bestand. Zu gern hätte sie ihm noch viel mehr geschenkt. Ein richtiges Bett oder einen Arzt, der sich um ihn kümmerte, doch das war unmöglich. Das wussten beide.

„Ich habe übrigens beschlossen, dieses gastliche Haus zu verlassen!“, drang nun seine brüchige Stimme an ihr Ohr.

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Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Was? Aber …“

Er unterbrach sie. „Ich will nicht hier sterben, Alice! Nicht zwischen all diesem Dreck und Gestank!“

Sie schloss ihren Mund, der immer noch erstaunt offen stand. Es hatte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, dies konnte sie in seinem flackernden Blick sehen.

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Nun griffen seine zittrigen Finger nach ihr. „Du und ich wissen, es wird nicht mehr lange dauern. Es ist so, niemand von uns kann daran etwas ändern.“ Jetzt erbrach sich so etwas wie ein Lachen aus seiner trockenen Kehle. „Im Grunde ist es doch so. Wir alle gehören dem Tod, Alice. Irgendwann kommt er uns holen. Den einen früher, den anderen später und auf mich lauert er schon.“

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Sie konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Er drückte nun eindringlich ihre Hand. „Es tut mir leid, dass ich dich alleine lassen muss. Aber ich weiß, du bist ein kluges und gerissenes Mädchen. Du wirst es schaffen, auch ohne mich!“ Erneut musste er husten, das lange Reden forderte seinen Tribut.

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Sie half ihm dabei sich wieder hinzulegen. Der kurze Moment des Glücks, den sie eben noch empfunden hatte, war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. An seine Stelle trat nun eine schier unerträgliche Verzweiflung. Ohne Kokki sollte sie fort an zurechtkommen? Wie stellte er sich das vor? Sie dachte an die miesen Kerle im schwarzen Keiler und an den Schlimmsten von allen: Michal. Bisher war sie ihm und seinen geilen Fingern entkommen, doch ohne Kokkis Einfallsreichtum, würde dies wohl nicht länger so bleiben.

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                                                                      ***

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Almahr zog die frische, kalte Nachtluft in seine Lungen, als wäre er soeben knapp dem Erstickungstod entronnen.

Sein Vater lachte neben ihm. „Wer dich nicht kennt, könnte bei deinem Anblick meinen, du würdest seit Stunden elendig gefoltert.“

Almahr wandte sich ihm mit spöttischer Miene zu. „Das ist doch auch Folter. Jedenfalls für jemanden der noch alle Sinne beieinander hat!“ Er schüttelte sich, als wäre ihm eine Ladung Schnee in den Nacken gerutscht. „Dieses affige Getue!“

Regus ging darauf nicht ein. „Mir ist da übrigens heute Abend etwas aufgefallen.“

„So, was denn? Hat es Ekarius ein wenig mit der Auswahl seines Geschenks übertrieben?“

Der strenge Blick den er nun ab bekam sagte ihm, jetzt war Schluss mit den Albernheiten.

„Nun, vielleicht irre ich mich da auch, aber findest du nicht auch das Ophelia dir gegenüber, tja wie soll ich es sagen, gewisse Ambitionen hegt?“

Almahr tat als verstünde er nicht worum es ging. „Bitte was?“

Aber sein Vater ließ sich nicht von ihm ins Boxhorn jagen.

„Du weißt genau, worauf ich hinaus will!“ Almahr schüttelte belustigt den Kopf.

„Um Himmelswillen! Dieses Weibsbild könnte das letzte auf diesem Planeten sein und ich würde es vorziehen lieber mit einem …“

„Almahr!“, unterbrach Regus entrüstet.

„Ich wollte nur ganz sichergehen, dass meine Einstellung diesbezüglich eindeutig ist.“

Sein Vater seufzte.„Schade, ich hatte wirklich kurz die Hoffnung, aber eigentlich hätte ich es mir denken können!“ Er lächelte nun versöhnlich., „Theresia und ich wünschen uns nur das Beste für dich, das weißt du.“

Almahr zog die Augenbrauen in die Höhe. Wenn Ophelia das Beste war, was man ihm wünschen konnte, na dann gute Nacht.

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Doch Regus sprach schon weiter. „Die Liebe ist schon ein seltsames Mysterium, dessen Geheimnis wohl niemand zu ergründen vermag, selbst wenn er vom Anbeginn der Zeit bis zum letzten Tag der Erde existieren würde!“

Sein Blick glitt tief in die Dunkelheit der Nacht, während er weiter resümierte. „Welch’ Zauber wirkt da, der unsere Sinne vernebelt und uns fühlen lässt wie niemals zuvor?“

Almahr konnte ihm diese Frage nicht beantworten. In ihm hatte noch niemand solche Gefühle ausgelöst. In seinen Ohren klang dies alles ziemlich schwülstig und verklärt. Scheinbar konnte man ihm seine Gedanken vom Gesicht ablesen.

Regus legte ihm die Hand auf die Schulter. „Eines Tages wirst auch du verstehen, was ich meine, Almahr. Komm lass uns wieder reingehen, die anderen warten bestimmt schon!“

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                                                                   ***

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Die Nacht war noch nicht zu Ende, als Alice Kokki dabei half seine wenigen Habseligkeiten zusammenzuraffen. Er hatte sich nicht mehr davon abbringen lassen, gehen zu wollen. Mühsam schleppte er sich mit ihrer Hilfe nach draußen. Auch den lahmen Protest der Nonne am Eingang ignorierte er und stützte sich stattdessen auf Alice Schulter. „Gehen wir. Bevor ich tatsächlich noch hier den Löffel abgeben muss!“

Draußen biss ihnen die kalte Luft wie ein gemeines Tier ins Gesicht, doch Kokki schien sie gutzutun. „Meinst du, du schaffst es mich bis zu unserem Lager zu bringen?“

„Natürlich!“, antwortete sie schnaufend.

Kokki war zwar nur noch ein wandelndes Skelett, aber dennoch war es alles andere als leicht, ihn über den vereisten Gehsteig zu schleppen. Während sie torkelnd ihren Weg beschritten, sah er plötzlich zu den Sternen empor. „Eine wundervolle Nacht. Passend zur Geburt unseres Herren.“

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                                                                   ***

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Almahr hielt es noch eine Stunde lang aus, dann zog er sich zurück. Auch wenn er dafür einigen Protest vonseiten der anderen erntete. Er hatte einfach genug. Zudem hatte Ekarius angefangen, ihn und Ophelia misstrauisch zu beäugen, nach dem seine ehemalige Gefährtin unentwegt versuchte,  ihm alberne Gespräche aufzudrängen.

Als er sich in seinem Zimmer das Hemd aufknöpfte, ließ er noch einmal Regus’ Worte in seinem Kopf Revue passieren. Sich zu verlieben, ein komischer Gedanke. In was für eine Art Frau denn? Eigentlich waren sie doch alle eher oberflächlich, auf Schönheit bedacht und ziemlich langweilig. Sein Freund Jayrim sah dies zwar ein wenig anders, aber …

In diesem Moment klopfte es leise an der Tür.

Verwundert drehte er sich um. Als er die Tür einen Spalt breit öffnete, staunte er nicht schlecht. Ophelia stand da. Immer noch diese monströse Frisur auf dem Kopf, aber anstatt des Kleides trug sie nun einen engen Morgenmantel aus roter Seide, der mehr preisgab als verhüllte.

„Ja bitte?“

Sie legte den Kopf schief um ihn unter schweren Wimpern hervor, laszive anzulächeln. „Ich wollte eigentlich nur schauen, ob du vielleicht noch ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk von mir bekommen möchtest?“

Er traute seinen Ohren nicht. Versuchte sie ihn hier gerade zu verführen? In diesem Aufzug und mit den Haaren? Erst wollte er ihr gleich die Tür vor der eingebildeten Nase zuschlagen, doch dann entschied er sich anders. Er öffnete die Tür ganz, aber nicht um sie hereinzulassen. Stattdessen beugte er sich nun vor, um ihr ins Ohr zu hauchen. „Weißt du, davon träume ich schon sehr lange.“

Er hörte, wie sie scharf die Luft einzog. „Wovon?“, gurrte sie mit bebender Brust.

„Davon dir zu sagen, dass ich absolut gar nichts von dir will. Weder Geschenke, noch irgendetwas anderes. Ich hoffe, das war deutlich genug!“ Damit schloss er, ohne eine Erwiderung abzuwarten, einfach die Tür. Er musste er sich in die Hand beißen, um nicht laut loszulachen. Das würde sie ihm so schnell nicht verzeihen.

Entschlossen zog er sich jetzt das Hemd über den Kopf. Die Liebe konnte ihm gestohlen bleiben.

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Alice und Kokki hatten es tatsächlich geschafft. Schwer ächzend kauerten sie sich in dem engen Kellerloch zusammen, welches sie sich teilten. Es war nicht mehr als ein kleiner Kohleverschlag, aber es war besser als Nichts.

Kokkis Atem rasselte wie eine Dampflok.

Alice zog sich schweren Herzens den Mantel aus, um ihn zusätzlich über seine frierende Gestalt zu legen.

„Danke Prinzessin!“ So hatte er sie anfangs immer genannt. Sie war ihm so vorgekommen. Wie eine Prinzessin, die ihr Schloss und ihren Prinzen verloren hatte und von nun an, von der Hand in den Mund leben musste. Sie war natürlich nie eine Prinzessin gewesen, doch manchmal verwendete er diesen Begriff noch. Er war vollkommen erschöpft und bereits dabei einzudämmern. „Ich hoffe sehr, dass du ihn eines Tages finden wirst!“, hörte sie ihn noch vor sich hin flüstern.

Sie horchte auf. „Wen?“

„Den Prinzen, der dich rettet.“ Er röchelte leise. „Der dich von all dem hier erlöst.“ Dann war da nur noch sein gequältes Atmen.

Alice rollte sich nun ebenfalls zusammen. Was sollte das denn heißen? Wo sollte denn dieser Prinz bitte schön herkommen? Während sie versuchte, die Kälte zu ignorieren, die ihr durch die Lagen ihrer Kleider kroch, begann ihre Phantasie dennoch damit, ihn sich vorzustellen.

Ein Jüngling in schillernder Rüstung auf einem weißen Pferd, so wie er immer in den Märchen beschrieben wurde, die man ihr als Kind erzählt hatte. Bevor sie einschlief, formte sich in ihrem Kopf, gedanklich doch noch ein Weihnachtswunsch.

"Wo immer dieser Prinz stecken mochte, er sollte sich bitte beeilen!“

Ein paar Worte, wo genau sie ist. Momentan könnte sie überall sein: auf dem Land, in der Stadt, auf einem Fluss...

Du brauchst nicht immer sagte und fragte. Oft tut es auch eine Handlung, um festzulegen, wer was gesagt hat.

 

 

 

 

Vampire Dinner

 

Der dunkle Ton des Schiffhorns ertönte laut hinter ihnen, als sie den Steg verließen, aber Almahr sah sich nicht mehr um, sondern betrachtete zufrieden die vor ihnen liegende Stadt. Nach etlichen Tagen und Nächten auf See hatten Alice und er endlich London erreicht.

Ihr Gepäck war bereits auf dem Weg zu ihrer Unterkunft, doch er hatte keine Lust sofort zum Hotel zu fahren. Es war einfach schon zu lange her, dass er sein Heimatland betreten hatte, und er wollte diesen Moment in Ruhe genießen. Denn hier in England war er vor über vierhundert Jahren als Mensch geboren worden.

Er war als Sohn eines Herzogs auf die Welt gekommen und jeder dachte, er würde eine unbeschwerte Jugend erleben. Aber in Wirklichkeit war es die Hölle gewesen und sein Vater hatte sich ihm gegenüber brutal und egoistisch verhalten. So war es auch kein Wunder, dass sein Erzeuger ihn während der Schlacht von Azincourt, in dem Moment der höchsten Not, den französischen Feinden überließ, nur um sich selbst zu retten. Damals wäre er fast seinen Gegnern zum Opfer gefallen, wenn Regus ihn nicht gerettet und in einen Vampir verwandelt hätte.

Doch das war lange her und seit dem viel passiert.

Seine scharfen Augen glitten über das Treiben, das sich vor ihnen abspielte und ein leichtes Kribbeln durchfuhr seinen Körper. Er brannte darauf, Alice endlich seine alte Heimat zu zeigen.

Er würde hier in London damit beginnen. Die größte Stadt der Welt, in der es alles gab, was man sich nur vorstellen konnte. Prunk und Pracht in Form von edlen Salons und Hotels aber auch abgrundtiefes Elend und Verderben.

Wie zur Bestätigung wehte der verräterische süße Duft einer Opiumhöhle zu ihnen hinüber. Diese Spelunken dienten dazu Süchtige mit Rauschgift zu versorgen, dessen Konsum sie zuerst in den Ruin und dann in den sicheren Tod trieb.

„Was machen wir jetzt?“

Alices neugierige Frage riss ihn aus seinen Gedanken und noch einmal sah er sich um.

Links von ihnen konnte er schemenhaft die Umrisse einiger windschiefer Häuser erkennen, deren Zustand erahnen ließ, dass Armut, Elend und Gewalt in ihnen wohnten und eine Idee nahm in seinem Kopf Gestalt an.

Entschlossen griff er nach Alices schmaler Hand und fragte sie spontan: „Was hältst du davon, wenn wir unseren Durst zur Abwechslung mal wieder freien Lauf lassen? Ich finde, nach der anstrengenden Reise haben wir uns dieses Vergnügen verdient.“

Er konnte sehen, wie das Braun ihrer Augen langsam in das Rötliche abglitten. Offensichtlich gefiel ihr sein Vorschlag. Sie hatten sich und den brennenden Durst in ihrer Kehle lange genug gezügelt.

„Und wo?“, flüsterte sie aufgeregt.

Er konnte die aufkommende Gier nach Blut in ihren Worten hören. Dieses herrliche Verlangen, das jetzt auch von ihm Besitz ergriff.

Schnell nickte er mit dem Kopf in Richtung der löchrigen Dächer.

„Wenn mich nicht alles täuscht, finden wir dort, was wir suchen. Komm!“

Alice verzog ihren sinnlichen Mund zu einem wissenden Lächeln. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hakte sie sich bei ihm unter und überließ ihm die Führung.

                                                                

                                ****                                                                      

Billy Tayler wusste, dass er verloren hatte, noch bevor der letzte Würfel gefallen war. Die Gruppe betrunkener Männer um ihn herum johlte vor Vergnügen und übertönte damit die schiefen Töne des einbeinigen Akkordeonspielers, der im rauchgeschwängerten Pub seine Seemannslieder zum Besten gab.

Wütend knallte er den leeren Würfelbecher auf den ranzigen Tisch, während der kleine Stapel Münzen vor ihm in der Tasche seines Gegenübers verschwand.

Heute war einfach nicht sein Tag! Erst hatte er seine Stellung als Vorarbeiter am Hafen verloren und jetzt verspielte er auch noch sein letztes Geld.

Frustriert spuckte er neben sich auf den klebrigen Holzboden. Die paar mickrigen Pence, die er noch besaß, reichten nicht mal mehr für den billigsten Fusel in diesem Pub.

Niedergeschlagen verließ er die grölende Runde, um draußen ein wenig frische Luft zu schnappen.

Er zog die letzten Reste seines Tabaks hervor, um sich seine abgekaute Pfeife zu stopfen, und überlegte dabei fieberhaft, wie er jetzt möglichst rasch an Geld kommen konnte. Die Miete seiner Kammer war schon seit zwei Tagen überfällig und die alte Witwe, das garstige Weib, der die Bruchbude gehörte, hatte überhaupt kein Verständnis, wenn man sie damit hinhielt. Die setzte ihn gnadenlos vor die Tür, wenn er heute Abend mit leeren Taschen nach Hause kam und dann konnte er sehen, wo er blieb.

Er wollte sich gerade ein Streichholz anzünden, als ihm die kleine Gestalt ins Auge fiel. Sie trippelte direkt vor seiner Nase auf dem schmalen Gehsteig entlang. Ihr Mantel und das Kleid, das unter dem wolligen Stoff hervorblitzte, verriet ihm sofort, dass sie nicht hierher gehörte. Das war keine von den billigen Dirnen, die hier herumlungerten. Eine Reisende vielleicht, vom Hafen kommend oder dorthin unterwegs? Hatte sie sich verlaufen? Wie auch immer, sie kam ihm jedenfalls wie gerufen.

Billys aufgesprungene Lippen verzogen sich zu einem gemeinen Lächeln. Das Glück hatte ihn anscheinend doch noch nicht ganz verlassen.

Rasch schnippte er das Streichholz in den dreckigen Rinnstein. Die kleine Lady da vorn hatte bestimmt etwas dabei, was sich zu Geld machen ließ und außerdem konnte er sich noch was anderes von ihr holen.

Verstohlen warf er einen Blick nach links und rechts, doch sie war allein und außer ihm schien sie niemand bemerkt zu haben.

Schnell machte er sich daran, ihr zu folgen.

Schon bald war das schäbige Pub hinter ihm im Dämmerlicht der schummrigen Straßenbeleuchtung verschwunden. In diesem Viertel der Stadt waren Gaslampen rar und alles nur schemenhaft zu erkennen. Doch die Menschen hier mieden ohnehin das Licht, denn die meisten wollten bei dem, was sie trieben nicht gesehen werden.

Die junge Frau schien trotz der unheimlichen Gegend nicht beunruhigt zu sein. Ihre schmale Silhouette bewegte sich zügig vorwärts, ohne dass sie sich auch nur einmal umsah. Vielleicht konzentriere sie sich alleine darauf, nicht auf dem holprigen Gehsteig auszurutschen.

Er sah, wie sie sich nach links wandte und sein Herz frohlockte. Sie kannte sich hier nicht aus. Er hingegen war hier aufgewachsen. Jeder Winkel war ihm vertraut. Dieser Weg führte direkt in eine Sackgasse. Endstation!

Er griff in die Tasche seiner ausgebeulten Hose. Der alte Hirschfänger lag sofort in seiner schwieligen Hand. Keine besonders beeindruckende Waffe, aber sie würde ausreichen, um einer Frau Angst einzujagen.

In seinem Kopf arbeitete es bereits. Erst würde er sie um ihre Wertsachen erleichtern und dann würde er sich noch ein wenig mit ihr Vergnügen. Wenn sie versuchte, sich zu wehren, würde er ihr schon zeigen, dass man sich ihm besser nicht widersetzte.

Er beschleunigte seine Schritte und bog ebenfalls nach links ab. Jetzt gab es außer ihnen beiden nur noch den vollen Mond, der die Szenerie beleuchtete.

Sie stand regungslos vor der dunklen Mauer, die ihr den Weg versperrte und schien zu überlegen.

Siegessicher baute er sich hinter ihr auf. Sie saß in der Falle! Es wurde Zeit, sich bemerkbar zu machen.

„Hier geht es nicht weiter, Liebchen.“

Er hörte, wie ihr Kleid raschelte, als sie sich umwandte. Ihr hübsches, schneeweißes Gesicht schimmerte im Licht des Erdtrabanten zu ihm herüber.

„Tatsächlich?“, sagte sie ruhig mit einer Stimme, deren Klang ihm einen Schauer über den Rücken jagte.

Irritiert hielt er inne. Sein plötzliches Auftauchen schien sie überhaupt nicht zu erschrecken. Im Gegenteil. Es schien sie zu freuen.

Zögernden machte er einen Schritt nach vorn. Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt, doch sei es drum!

Entschlossen zog das Messer hervor: „So ne hübsche Lady hat bestimmt was dabei, was so ein armer Kerl, wie ich, gebrauchen kann!“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fuchtelte er jetzt mit der Klinge vor ihrer Nase herum.

Ihre Reaktion darauf verblüffte ihn noch mehr. Mitleidig musterte sie die blinkende Schneide, als wäre sie lediglich eine lächerliche Staffage.

„So etwas nützt rein gar nichts, glauben sie mir, ich habe es damit auch versucht“, antwortete sie ihm belehrend.

Langsam wurde er ärgerlich. Was war mit dem Weib los? Die nahm ihn ja überhaupt nicht für voll. Oder kapierte sie nicht, was er von ihr wollte? Plötzlich dämmerte es ihm. Das musste es sein! Sie war bestimmt eine von denen, deren geistiger Horizont nicht über den einer Stechmücke hinausragte. Nicht ganz richtig im Oberstübchen. Darum hatte sie sich auch hierher verlaufen. Umso besser, das machte alles noch einfacher.

„Hör zu, Mädchen“, säuselte er nun, als wenn er ein Kind vor sich hätte, „du gibst mir jetzt dein Geld und deinen Schmuck und dann …“, doch weiter kam er nicht mehr.

Ein eiskalter Windhauch strich plötzlich über seine ausgestreckte Hand, die von einer Sekunde auf die andere leichter wurde.

Ungläubig starrte er auf seine leeren Finger. Das Messer, das er eben noch drohend auf sie gerichtet hatte, war verschwunden! Was zum Teufel?

Doch bevor er Luft holen konnte, packte ihn jemand unsanft im Genick. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen und er hörte eine dunkle Stimme dicht an seinem Ohr: „Mein lieber Freund, so geht man aber nicht mit Damen um. Dir scheint es an Manieren zu fehlen.“

Wütend versuchte er sich aus dem brutalen Griff zu befreien und schrie: „Hey du Bastard, lass mich los!“

Doch es war, als wenn er in einem Schraubstock steckte. Zudem wurde ihm jetzt auch noch brutal der Arm auf den Rücken verdreht. Was war hier los, was sollte das alles?

Sein Herz hämmerte wie wild, sein Puls raste und er konnte ihn schmerzhaft in seinen Schläfen spüren.

Die junge Frau war lautlos von hinten an ihn herangetreten und er konnte sie nur noch aus den Augenwinkeln sehen.

Noch einmal versuchte er, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, doch alle seine Anstrengungen waren vergebens. Langsam wurde ihm klar, dass nicht sie, sondern er in eine Falle gelaufen war. Aber er hatte doch nichts, was sie ihm  abnehmen konnten, das sah doch ein Blinder mit dem Krückstock! Was also wollten die beiden von ihm?

„Darf ich zuerst?“, hörte er die Frau mit leiser Stimme fast flehend fragen.

Fassungslos starrte er in ihre Augen, die plötzlich vor seinem Gesicht auftauchten und ihn gierig musterten. Sie waren rot! Feuerrot! Seine alarmierten Sinne mussten ihm einen Streich spielen. Das konnte doch nicht sein!

„Es ist fast wie beim ersten Mal“, hörte er sie flüstern. Ihre Stimme klang auf einmal süß wie Honig in seinen Ohren, wie ein verlockender Ruf.

Er spürte, wie sein Widerstand schwand. Er wollte gar nicht mehr fliehen. Er wollte sie. Ihre Umarmung, ihren Kuss.

Ihr sinnlicher Mund verzog sich zu einem Lächeln, als wenn sie seine Gedanken lesen konnte.

Voller Grauen sah er die spitzen, langen Eckzähne im Mondlicht aufblitzen. Wie die Fänge eines Raubtiers, das bereit war, zuzuschlagen und seine Beute zu erlegen. Ein Anblick, beängstigend und auf groteske Art zugleich verführerisch.

„Nein!“, hörte er sich leise krächzen und noch einmal stemmte sein Körper sich mit aller Kraft gegen seinen unsichtbaren Widersacher, der ihn jedoch erbarmungslos festhielt.

Dann spürte er ihren Leib, der sich an ihn presste und ihren kühlen Atem auf seiner schweißnassen Haut. Sein wild schlagendes Herz frohlockte und das Blut rauschte in seinen Ohren.

Kalte Lippen berührten seinen Hals, um ihn unendlich zu liebkosen.

Für eine winzige Sekunde glaubte er daran, dass sich noch einmal alles zum Guten wenden würde, doch schon im nächsten Augenblick zerriss ein beißender Schmerz alle Hoffnung.

„Trinke und genieße!“, hörte er wieder die raue Stimme an seinem Ohr.

Hitze durchflutete ihn, die mit jeder Sekunde, die verging schwächer und schwächer wurde, wie seine Gedanken, die ihn verließen wie aufgeschreckte Vögel, das leere Feld.

Das Bild vor seinen aufgerissenen Augen fing an zu verschwimmen. Das Letzte, was er sah, war der Mond, dessen fahles Licht ihn tröstend zu umarmen schien, bevor alles in Dunkelheit versank.

 

„Das war ein wunderbarer Anfang.“

Alice betupfte sich den blutigen Mundwinkel mit der Spitze ihres Taschentuchs.

Almahr grinste breit: „Warte ab, was diese Stadt sonst noch zu bieten hat.“ Lachend verließen sie die Gasse, in der ein lebloser Bill mit gebrochenen Augen den Mond anstarrte.

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