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Vampir Weihnachtsgeschichte

Autorenbild: Sandra DenkmannSandra Denkmann

Aktualisiert: 24. März 2024

Kleiner Gruß und viel Spaß in der Vorweihnachtszeit 🎄🕯💋


Almahr stellte den leeren Pokal, an dem noch ein letzter Blutstropfen klebte, mit einem zufriedenen Schmatzen zurück auf das Tablett. Anschließend lehnte er sich in das dicke Daunenkissen. Sein Blick glitt durch das komfortable Zimmer, in dem er von Regus untergebracht worden war.


Ja, es gab keinen Zweifel daran, Luxus hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn er dies niemals vor seinem Blutsvater zugegeben hätte und schon gar nicht Ekarius gegenüber. Seine Mundwinkel zogen sich kurz nach unten. Da hätte er sich doch lieber die Zunge abgebissen. Es war schon schlimm genug, die Gegenwart seines Bruders ertragen zu müssen, aber dies ließ sich an solchen Tagen wohl nicht vermeiden. Stöhnend warf er den Kopf zurück. Eigentlich hatte er nach einer Ausrede Ausschau gehalten, die ihm dieses Familienfest ersparte, doch Regus hatte mal wieder das richtige Mittel gefunden, um ihn in letzter Minute seinen Willen aufzuzwingen. Dieses Mittel hieß Theresia. Der Gefährtin seines Blutsvaters, die ihn wie eine Mutter behandelte, konnte er keinen Wunsch abschlagen. Dies wusste Regus ganz genau und schickte Theresia vor. Diese bat ihn inständig darum, dieses Jahr das Weihnachtsfest mit ihnen im Familienkreis zu verbringen. Er konnte nicht anders, er musste ja sagen, auch wenn er es jetzt schon aus tiefsten Herzen bereute.

Trotz der dicken Teppiche am Boden und an den Wänden konnte er schlurfende Schritte auf dem Flur vernehmen. Das war bestimmt Jacobus, das alte Scheusal. Der Lieblingsghoul von Regus war vermutlich von seinem Meister geschickt worden, um ihn zu wecken. Wie aufs Stichwort wurde jetzt unsanft gegen die Zimmertür gepoltert.

„Aufstehen!“, drang es daraufhin unwirsch durch das Holz. „Der Predict von Prag verlangt nach eurer Anwesenheit!“

Almahr wusste, es hatte keinen Zweck den Diener zu ignorieren. Er würde so lange weiter machen, bis er Antwort erhielt oder ein Loch in der Tür war. Also ließ er ebenso unhöflich verlauten: „Ich komme, sobald ich eine Hose am Leibe trage!“ Damit schien sich der ehemalige Mönch zufrieden zugeben. Almahr konnte hören, wie er brummelnd wieder von dannen schlich.

Noch einmal stieß er einen tiefen und lang gezogenen Seufzer aus, dann machte er sich daran aufzustehen. Es nützte alles nichts. Mit schiefem Blick betrachtete er die herausgelegte Garderobe des heutigen Abends. Dem Anlass entsprechend feierlich, ganz so wie Regus und Theresia es sich wünschten. Die Augen verdrehend ging er ins angrenzende Badezimmer hinüber. Dort wartete zu seiner Freude, eine bereits mit warmen Wasser und Schaum gefüllte Wanne auf ihn.


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Währenddessen, viele Kilometer entfernt ….

Alice rieb schnaubend die klammen Hände aneinander, auch wenn klar war, gegen die Kälte würde ihr dies nicht viel helfen. Ihre Fingerspitzen hatten bereits seit Tagen die Farbe von reifen Blaubeeren. Es war aber auch furchtbar kalt. Nicht, dass sie nicht wusste, was Kälte für den Körper bedeutete. Auch in den Bergen, aus denen sie kam, war es zu dieser Jahreszeit eisig, doch da hatte es immer ein wärmendes Feuer in der Stube gegeben. Sehnsüchtig dachte sie an die prasselnden Flammen und an den Kachelofen, an welchem sie und ihre Schwestern bei schummrigen Kerzenschein die Wäsche geflickt oder Wolle gesponnen hatten. Damals war ihr die Arbeit öd und fade vorgekommen. Jetzt erschien ihr diese Tätigkeit, gerade zu traumhaft. Doch genau dies, würde es bleiben. Ein Traum. Wie um zu beweisen, dass die Wirklichkeit momentan ganz anders aussah, spürte sie auf einmal, wie ihr ein Schwall schmutziges Wasser ins Gesicht schlug. Vollkommen überrascht japste sie nach Luft. Sie hatte die heranfahrende Kutsche nicht bemerkt und der griesgrämige Mann auf dem Bock interessierte es nicht, dass er zu nah am Rinnstein entlang fuhr und die Räder der Kutsche sie von oben bis unten mit Schneematsch und Wasser vollspritzten. Ihr Erbostes: „Hey!!“, verhallte ungehört. Wütend wischte sie sich die Tropfen von den Wangen. So jemand wie sie existierte schlichtweg nicht. Jedenfalls nicht für die Herrschaften, die nicht wie sie auf der Straße lebten.

Kokki hatte recht, wenn er sagte:

„Wir sind für sie nichts als Bodensatz Alice, genauso viel Wert, wie der Dreck unter ihren Schuhen.“

Kokki! Ihr fiel wieder ein, wohin sie eigentlich unterwegs war. Hastig beschleunigte sie ihre Schritte. Sie hatte ihrem alten Freund versprochen, ihn heute Abend zu besuchen. Auch wenn ihr insgeheim davor furchtbar graute, sie musste es tun. Das Siechenhaus, wie es von allen nur genannt wurde, lag zwar am Rande des Stadtkerns, aber immer noch innerhalb der Stadtmauern. Die Nonnen, die dort für die Pflege der Kranken zuständig waren, galten trotz ihres christlichen Tuns nicht gerade als freundlich. Im Gegenteil, aber wer konnte es ihnen verdenken. Tag ein, Tag aus, mussten sie mit ansehen, wie bereits vom Tod gezeichnete in ihrer Obhut starben. Gesund verließ in der Regel niemand mehr dieses Gemäuer. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Kokki war seit einer Woche, auch einer von ihnen. Sein Husten war so schlimm geworden, dass sie keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatte, als ihn dorthin zu bringen. Hier gab es wenigstens ein festes Dach über dem Kopf, auch wenn er sich das Lager mit Leuten teilen musste, die allesamt genauso fürchterlich vor sich hin husteten, wie er.

Ihre Füße rutschten über das vereiste Pflaster und erinnerten sie daran, besser aufzupassen wohin sie trat, bevor sie noch das Gleichgewicht verlor. Sie fasste in einer der Taschen ihres löchrigen Mantels. Neben einem Kerzenstumpf und Zündhölzern fand sie, was sie gesucht hatte. Ein kleines Päckchen, eingewickelt in einem Stück alter Zeitung und doch so kostbar wie ein Schatz. Ihre kalten Finger umschlossen es ganz fest, als befürchteten sie, es könnte ihr entschlüpfen und aus der Tasche hüpfen.


                             🦇🦇🦇🦇

Almahr ließ die Tür seines Zimmers achtlos hinter sich ins Schloss fallen. Als er über den Flur Richtung Bibliothek marschierte, strich er sich noch einmal die mühsam gezähmten Locken aus dem Gesicht. Dieser ganze Aufwand und das alles nur, für diesen einen Abend, dessen Bedeutung ihm geradezu absurd vorkam. Kopfschüttelnd stieg er die breite Treppe hinunter, die ihn zur Bibliothek führte. Weihnachten, das Fest von Christi Geburt, gefeiert in einem Haus voller Vampire.

Fast wäre er in lautes Lachen ausgebrochen. Stattdessen betrat er nun den Raum, den Regus als sein Refugium bezeichnete. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug selbst ihm die Sprache.

Eine riesige Tanne ragte vor ihm auf, deren Spitze bis weit über die hoch gelegene Galerie reichte. Die dichten Äste waren über und über mit kostbaren dünnwandigen Kugeln besetzt, die im Licht unzähliger Kerzen funkelten, als wären sie aus Gold und Silber. Als er staunend näher trat, erkannte er sogar einige Figuren. Kleine Schaukelpferde aus Holz, einen Nussknacker und sogar Engel, die mit ausgebreiteten Flügeln umher zu schweben schienen. Die buchstäbliche Krönung allerdings thronte ganz oben auf des Baumes Spitze. Ein Stern aus Papier, in dessen Mitte ein Gesicht zu erkennen war. Zuerst glaubte er, das Christkind zu sehen, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Er merkte erst, wie ihm der Mund offen stand, als Regus neben ihn trat.

„Guten Abend mein Sohn! Wie ich sehe, bist du von Theresias und Ophelias Arbeit genauso beeindruckt wie ich.“ Auf dem bärtigen Gesicht seines Blut- und Ziehvaters breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus. Almahr hatte sich indessen von der Überraschung erholt.

„Wenn du mich schon nach meiner ehrlichen Meinung fragst. Ich finde es ein wenig übertrieben.“

Er deutete mit dem Finger auf die Tannenspitze. „Und damit meine ich im Besonderen das da!“

Das Lächeln auf Regus‘ Gesicht wich jetzt einem breiten Grinsen, während er sich verschwörerisch zu ihm hinüber beugte. „Ich stimme dir zu, aber Ophelia hatte es sich bereits in Paris anfertigen lassen und Theresia hat es nicht über sich gebracht, sie davon abzuhalten es aufzuhängen.“

Almahr stöhnte. „Der Stern von Bethlehem und dann noch mit ihrem Gesicht. Das grenzt wirklich an Blasphemie!“ In diesem Moment hörten sie, wie hinter ihnen erneut die Tür geöffnet wurde.


                        🩸🩸🩸🩸🩸


Alice hatte ihr Ziel endlich erreicht. Vor ihr ragte der abgetretene Aufgang des Gebäudes empor, hinter dessen grauer Fassade das Elend und der Tod zu Hause waren. Schon unmittelbar hinter der abgeschrammten Tür empfing einem der üble Geruch von Exkrementen jeglicher Art, dazu das unheilvolle Stöhnen und Jammern trockener, fiebriger Kehlen.

So schnell sie konnte, huschte sie über den langen dunklen Flur, vorbei an ausgemergelten Körpern, die wimmernd nach ihren Füßen griffen. Wohl in der Hoffnung, dass sie etwas gegen das Leid der Jammernden unternahm. Doch sie konnte nichts tun. Niemand konnte das.

Als sie den Raum erreichte, in dem ihr Freund untergebracht war, musste sie noch einmal über ein Bündel Stoff hinweg steigen, aus dem ein bestialischer Gestank emporstieg. Alice verzog angewidert das Gesicht. Brandkalk! Der scharfe Geruch hatte ihr schon bei ihrem ersten Besuch buchstäblich in die Nase gestochen. Eine der eher wortkargen Schwestern hatte ihr mürrisch erklärt, dass man damit versuchte, so etwas wie Sauberkeit zu erzeugen. Nicht wirklich erfolgreich, wie Alice fand.

Kokki hatte ihr Erscheinen bereits bemerkt, obwohl es im Raum fast finster war. Licht gab es nur aus einer einzigen Laterne, die neben der Tür hing, und so musste Alice sich mühsam zu ihrem Freund vortasten. Sein hageres Gesicht blickte aus fiebrig glänzenden Augen zu ihr auf.

„Alice!“, hauchte er heiser, bevor er hustend die Hand vor den Mund hielt. Alice lächelte gequält. Zu ihrem Glück konnte ihr Freund ihre Verzweiflung nicht sehen, weil er immer noch damit beschäftigt war Luft zu bekommen. Schnell ließ sie sich neben sein karges Strohlager nieder.

„Hallo Kokki. Ich hab dir doch versprochen zu kommen.“ Sie holte den Kerzenstumpf hervor, entzündete ihn und stellte das schwache Licht zwischen ihnen auf den Boden. Kokki hatte sich mittlerweile ein wenig erholt, auch wenn er immer noch so aussah, als kostete es ihm viel Mühe Atem zu schöpfen. Sein Anblick war kaum zu ertragen. Er war immer schon schrecklich dünn gewesen, doch jetzt schien sich nur noch allein seine Haut über die Vorsprünge seines kantigen Schädels zu ziehen. Seine blauen aufgesprungen Lippen, kräuselten sich zu einem dünnen Lächeln.

 „Ja, das hast du.“ Seine Stimme klang wie ein undichter Blasebalg. Schnell wandte Alice den Blick ab und kramte nach dem Päckchen. „Ich hab dir auch was mitgebracht.“ Sie holte es hervor. "Frohe Weihnachten!“



                              🦇🦇🦇🦇🦇🦇


„Ist der Baum nicht eine Pracht?“, fragte Ekarius zum wiederholten Male, wobei er effekthaschend um sich schaute.

Er und Theresia waren lachend und schwatzend durch die Tür geglitten und hatten sich zu ihnen gesellt. Almahr widerstand nur mühsam dem Drang, eine abfällige Bemerkung fallenzulassen.

Sein Bruder liebte es zugefallen, egal, wie sehr er sich dafür auch anbiedern musste. Regus hatte allen ein Glas in die Hand gedrückt, in dem eine gelbliche Flüssigkeit vor sich hin perlte.

Almahrs fragender Blick, wurde von Theresia beantwortet.

„Ophelia hat den Schaumwein mitgebracht. Sie liebt Champagner, sagt sie, er würde so schön auf der Zunge prickeln.“ Natürlich, wer sonst würde auf diesen lächerlichen Einfall kommen.

Wie aufs Stichwort kam nun die ehemalige Gefährtin seines Bruders hereingerauscht.

Almahr schluckte. Er hatte geglaubt, der Tannenbaum mit seinem Schmuck wäre schon mehr als überladen, doch er musste zugeben, dass dieser, im Vergleich zu Ophelia gerade zu karg wirkte.

Die in seinen Augen ohnehin überkandidelte Vampirin hatte sich in ein Kleid geworfen, welches in seinen Ausmaßen und Verzierungen eher auf einen Rokokoball gepasst hätte. Und dann auch noch diese Frisur! Ein Konstrukt aus falschen Zöpfen, Schleifen und Spangen, welches jeden Vogel dazu einlud, darin sein Nest zu bauen, um Eier zu legen. Die Vorstellung wie kleine Spatzen um ihren Kopf herumschwirrten und dabei etwas fallen ließen, brachten ihn zum Schmunzeln.

Ophelia, die sich in diesem Moment umwandte, interpretierte seine Heiterkeit allerdings falsch.

„Ah, anscheinend gefällt dir was du siehst!“, sagte sie mit keck gespitzten Lippen. Sie ließ offen, wen sie damit meinte, sich oder den Baum. Bei beiden lag sie falsch.

Ekarius ließ ein lautes Räuspern hören. Anscheinend hatte er Ophelias zweideutigen Ton auch bemerkt. „Wir sollten nun anstoßen und dann folgt“, er machte eine alberne, dramatische Pause um dann zu krähen, „die Bescherung!“



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Alice half Kokki dabei, das kleine Geschenk auszuwickeln. Seine zittrigen Finger schafften es nicht allein. Als er erkannte, was sie ihm da mitgebracht hatte, weiteten sich seine Augen vor ungläubiger Freude. „Wo hast du das denn her?“ Wieder erklang der gemeine Husten. „Aus dem schwarzen Keiler“, antwortete Alice verschmitzt. „Ich hab Maria, die Frau des Wirts gebeten mir etwas zu besorgen. Es ist nicht viel aber immerhin.“ Sie erzählte ihm nicht, dass es sie die Einnahmen einer ganzen Woche gekostet hatte. Sie zog nun das Jagdmesser ihres Vaters hervor und nahm ihm das kleine Stück Speck aus der Hand, um es zu zerschneiden. Kokki sah ihr mit hungrigem Blick dabei zu. Als sie ihm das erste Stück reichte und es zwischen seinen blauen Lippen verschwand, entfuhr ihrem Magen ein lautes Knurren. Er sah sie aufmunternd an. „Du wirst mich doch an solch einem Abend nicht alleine speisen lassen?“ Seine hochtrabende Wortwahl brachte sie trotz allem zum Lachen. „Aber es ist dein Geschenk und außerdem hast du es viel nötiger als ich!“

Doch der kranke Taschendieb wollte nichts davon wissen.

„Es ist Heiligabend Alice, da isst die Familie zusammen!“ Also nahm sie sich von dem weiß glänzenden Speck. Sie mussten sich bei ihrem Festessen beeilen, denn wenn die anderen um sie herum mitbekamen welchen Luxus sie sich gönnten, wollten sie mit Sicherheit auch etwas .


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Almahr ließ den Blick immer öfter zu der großen Standuhr wandern, deren Pendel leise im Takt hin und her schwang. Leider verging die Zeit einfach nicht. Das alberne Champagnergetrinke, hatte Dank Ermangelung an Nachschub endlich ein Ende gefunden, doch was danach folgte war auch nicht viel besser. Die Bescherung entpuppte sich als reine Groteske.

Ekarius hatte es fertig gebracht, Regus eine Bronzefigur zu schenken. Ein Jüngling auf einem Pferd, angeblich die Nachbildung eines jüngst gefunden Stücks aus der Zeit des Hellenismus.

Regus‘ Freude darüber war nicht gespielt. Zu Almahrs Überraschung schien ihm diese Figur durchaus vertraut, nur musste es wirklich ein Pferd in Originalgröße sein? Wo sollte der sperrige Gaul denn bitte schön stehen? Theresias Geschenk hingegen war klein, aber dafür umso wertvoller.

Ein mit Diamanten besetztes Collier, welches um ihren schmalen Hals wirkte wie ein überdimensionales Hundehalsband. Von Ophelia gab es dazu das passende Diadem, welches sie sich wohl lieber selbst ins toupierte Haar gesteckt hätte. Regus war dank Ophelia nun der stolze Besitzer einer goldenen Schreibfeder, von denen er bereits etliche in seiner Schreibtischschublade verwahrte.

Ekarius allerdings wurde von ihr nur mit einem Paar einfachen Manschettenknöpfen abgefertigt, die zwar auch alles andere als billig gewesen sein mussten, ansonsten aber davon zeugten, wie egal er ihr inzwischen war.

Fast tat Ekarius Almahr schon leid. Seine ehemalige Gefährtin hatte ihn sang und klanglos abserviert. Tat aber weiterhin so, als wäre sie Teil dieser Familie.

„Für dich habe ich noch ein ganz besonderes Geschenk!“, hatte sie ihm verheißungsvoll zu gegurrt, als er sein Päckchen von ihr überreicht bekam. Das klang eher nach einer Drohung als nach etwas worauf man sich freuen sollte. Sie hatte ihm eine aufwendig verzierte Krawattennadel besorgt, die zudem seine Initialen trug. Na gut, die ließ sich trotzdem wunderbar zu Geld machen.

Den ganzen Abend über durfte er sich nun anhören, wie klug und gewissenhaft Ekarius die Interessen der Familie Finandes in der Vampirgesellschaft vertrat. Dazwischen mischte sich immer wieder Ophelias schrille Stimme, die darüber schwadronierte wie modern und aufregend Paris doch sei.

Es war eine Qual. Im Stillen dachte er darüber nach, wie er stattdessen den Abend hätte verbringen können. Vor seinem geistigen Auge sah er sich in einem Salon sitzen. Um ihn herum, junge Damen, in der Gesellschaft ihrer Eltern, die mit ihren langen schlanken Hälsen nur darauf warteten, von ihm zum Tanzen auffordert zu werden. Nach dem Tanzen hätte er sich dann in einer abgeschiedenen Ecke an ihrem warmen sprudelnden Blut gelabt.

Regus fragende Stimme riss ihn je aus seinen Träumereien.

„Wie wäre es mit ein bisschen frische Luft?“ Almahr der seinem Blick zur Terrassentür gefolgt war, nahm den Vorschlag dankbar an.

Anscheinend brauchte sein Blutsvater auch eine Pause von dem ganzen Zirkus hier.



                        🦇🦇🦇🦇🦇


Alice wischte sich den letzten Rest ihrer kleinen Weihnachtsmahlzeit von den Lippen. Sie konnte schwerlich behaupten, dass sie satt war, trotzdem fühlte sie sich so wohl, wie schon lange nicht mehr, wenngleich sie hier zwischen all den todkranken Menschen saß. Auch Kokki erschien ihr plötzlich nicht ganz so traurig und niedergeschlagen wie zu Beginn ihres Besuchs.

„Das war sehr lieb von dir!“ Er hatte sich ein wenig aufgerichtet.

„Gern geschehen.“ Das meinte sie, wie sie es sagte. Sie hatte ihm viel zu verdanken. Nur durch ihn hatte sie gelernt auf der Straße zu überleben. Da war es das Mindeste dafür zu sorgen, dass er wenigsten an diesem heiligen Tag so etwas wie eine Mahlzeit bekam, die man kauen und nicht bloß trinken konnte. Sie dachte an die fade, dünne Brühe mit denen hier die Schwestern umher gingen und die mehr aus Wasser, als aus allem anderen bestand. Zu gern hätte sie ihm noch viel mehr geschenkt. Ein richtiges Bett oder einen Arzt, der sich um ihn kümmerte, doch das war unmöglich. Das wussten beide.

„Ich habe übrigens beschlossen, dieses gastliche Haus zu verlassen!“, drang nun seine brüchige Stimme an ihr Ohr. Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Was? Aber ...“, doch er unterbrach ihren aufgebrachten Einwand, indem er einfach weiter sprach. „Ich will nicht hier sterben, Alice! Nicht zwischen all diesem Dreck und Gestank!“ Sie schloss ihren Mund, der immer noch erstaunt offen stand. Es hatte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, dies konnte sie in seinen flackernden Blick sehen. Nun griffen seine zittrigen Finger nach ihr. „Du und ich wissen, es wird nicht mehr lange dauern.

Es ist so, niemand von uns kann daran etwas ändern.“ Jetzt erbrach sich so etwas wie ein Lachen aus seiner trockenen Kehle. „Im Grunde ist es doch so. Wir alle gehören dem Tod, Alice. Irgendwann kommt er uns holen. Den einen früher, den anderen später und auf mich lauert er schon.“

Sie konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Er drückte nun eindringlich ihre Hand. „Es tut mir leid, dass ich dich alleine lassen muss, aber ich weiß, du bist ein kluges und gerissenes Mädchen. Du wirst es schaffen, auch ohne mich!“ Erneut musste er husten, das lange Reden forderte seinen Tribut.

Sie half ihm dabei sich wieder hinzulegen. Der kurze Moment des Glücks, den sie eben noch empfunden hatte, war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. An seine Stelle trat nun eine schier unerträgliche Verzweiflung. Ohne Kokki sollte sie fort an zurechtkommen? Wie stellte er sich das vor? Sie dachte an die miesen Kerle im schwarzen Keiler und an den Schlimmsten von allen: Michal. Bisher war sie ihm und seinen geilen Fingern entkommen, doch ohne Kokkis Einfallsreichtum, würde dies wohl nicht länger so bleiben.


                             🩸🩸🩸🩸

Almahr zog die frische, kalte Luft der Nacht in seine Lungen, als wäre er soeben knapp dem Erstickungstod entronnen. Sein Vater lachte neben ihm. „Wer dich nicht kennt, könnte bei deinem Anblick meinen, du würdest seit Stunden elendig gefoltert.“

Almahr wandte sich ihm mit spöttischer Miene zu. „Das ist doch auch Folter. Jedenfalls für jemanden der noch alle Sinne beieinander hat!“ Er schüttelte sich, als wäre ihm eine Ladung Schnee in den Nacken gerutscht. „Dieses affige Getue!“

Regus ging drauf nicht ein, dafür sagte er: „Mir ist da übrigens heute Abend etwas aufgefallen.“

„So, was denn? Hat es Ekarius ein wenig mit der Auswahl seines Geschenks übertrieben?“

Der strenge Blick den er nun ab bekam sagte ihm, jetzt war Schluss mit den Albernheiten.

„Nun, vielleicht irre ich mich da auch, aber findest du nicht auch das Ophelia dir gegenüber, tja wie soll ich es sagen, gewisse Ambitionen hegt?“ Almahr tat als verstünde er nicht worum es ging.

„Bitte was?“ Aber sein Vater ließ sich nicht von ihm ins Boxhorn jagen.

„Du weißt genau, worauf ich hinaus will!“ Almahr schüttelte belustigt den Kopf.

„Um Himmelswillen! Dieses Weibsbild könnte das Letzte auf diesem Planeten sein und ich würde es vorziehen lieber mit einem ….“ „Almahr!“, unterbrach Regus entrüstet.

„Ich wollte nur ganz sichergehen, dass meine Einstellung diesbezüglich eindeutig ist.“

Sein Vater seufzte: „Schade, ich hatte wirklich kurz die Hoffnung, aber eigentlich hätte ich es mir denken können!“, er lächelte nun versöhnlich, „Theresia und ich wünschen uns nur das Beste für dich, das weißt du.“

Almahr zog die Augenbrauen in die Höhe. Wenn Ophelia das Beste war, was man ihm wünschen konnte, na dann gute Nacht. Doch Regus sprach schon weiter.

„Die Liebe ist schon ein seltsames Mysterium, dessen Geheimnis wohl niemand zu ergründen vermark, selbst wenn er vom Anbeginn der Zeit bis zum letzten Tag der Erde existieren würde!“

Sein Blick glitt tief in die Dunkelheit der Nacht, während er weiter resümierte: „Welch Zauber wirkt da, der unsere Sinne vernebelt und uns fühlen lässt wie niemals zuvor?“

Almahr konnte ihm diese Frage nicht beantworten, zumal er da nicht mitreden konnte. In ihm hatte noch niemand solche Gefühle ausgelöst. In seinen Ohren klang dies alles ziemlich schwülstig und verklärt. Scheinbar konnte man ihm seine Gedanken vom Gesicht ablesen.

Regus legte ihm die Hand auf die Schulter. „Eines Tages wirst auch du verstehen, was ich meine, Almahr. Komm lass uns wieder reingehen, die anderen warten bestimmt schon!“



                                            ***************

Die Nacht war noch nicht zu Ende, als Alice Kokki dabei half seine wenigen Habseligkeiten zusammen zu raffen. Er hatte sich nicht mehr davon abbringen lassen, gehen zu wollen. Mühsam schleppte er sich mit ihrer Hilfe nach draußen. Auch den lahmen Protest der Nonne am Eingang hatte er ignoriert und sich stattdessen auf Alice gestützt. „Gehen wir. Bevor ich tatsächlich noch hier den Löffel abgeben muss!“

Draußen biss ihnen die kalte Luft wie ein gemeines Tier ins Gesicht, doch Kokki schien sie gutzutun. „Meinst du, du schaffst es mich bis zu unserem Lager zu bringen?“

„Natürlich!“, hatte sie schnaufend geantwortet.

 Kokki war zwar nur noch ein wandelndes Skelett, aber dennoch war es alles andere als leicht, ihn über den vereisten Gehsteig zu schleppen. Während sie torkelnd ihren Weg beschritten, sah er plötzlich zu den Sternen empor. „Eine wundervolle Nacht. Passend zur Geburt unseres Herren.“

                                                    **********

Almahr hielt es noch eine Stunde lang aus, dann zog er es vor, sich zurückzuziehen. Auch wenn er dafür einigen Protest vonseiten der anderen erntete. Er hatte einfach genug. Zudem hatte Ekarius angefangen, ihn und Ophelia misstrauisch zu beäugen, nach dem seine ehemalige Gefährtin unentwegt versucht hatte, ihm alberne Gespräch aufzudrängen. Die allesamt einfach nur lächerlich und dumm gewesen waren.

Als er sich in seinem Zimmer auszuziehen begann, ließ er noch einmal Regus‘ Worte in seinem Kopf Revue passieren. Sich zu verlieben, ein komischer Gedanke. In was für eine Art Frau denn?

Eigentlich waren sie doch alle eher oberflächlich, auf Schönheit bedacht und ziemlich langweilig. Sein Freund Jayrim sah dies zwar ein wenig anders, aber… In diesem Moment klopfte es leise an der Tür.

Verwundert drehte er sich um. Als er die Tür einen Spalt breit öffnete, staunte er nicht schlecht. Ophelia stand da. Immer noch diese monströse Frisur auf dem Kopf, aber anstatt des Kleides trug sie nun einen engen Morgenmantel aus roter Seide, der mehr preisgab als verhüllte. „Ja bitte?“

Sie legte den Kopf schief um ihn unter schweren Wimpern hervor, laszive anzulächeln.

„Ich wollte eigentlich nur schauen, ob du vielleicht noch ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk von mir bekommen möchtest?“

Er traute seinen Ohren nicht. Versuchte sie ihn hier gerade zu verführen? In diesem Aufzug und den Haaren? Erst wollte er ihr gleich die Tür vor der eingebildeten Nase zuschlagen, doch dann entschied er sich anders. Er öffnete die Tür ganz, aber nicht um sie hereinzulassen. Stattdessen beugte er sich nun vor, um ihr ins Ohr zu hauchen. „Weißt du, davon träume ich schon sehr lange.“

Er hörte, wie sie scharf die Luft einzog. „Wovon?“, gurrte sie mit bebender Brust.

„Davon dir zu sagen, dass ich absolut gar nichts von dir will. Weder Geschenke, noch irgendetwas anderes. Ich hoffe, das war deutlich genug!“ Damit schloss er, ohne eine Erwiderung abzuwarten, einfach die Tür. Er musste er sich in die Hand beißen, um nicht laut loszulachen.

Das würde sie ihm so schnell nicht verzeihen.

Entschlossen zog er sich jetzt das Hemd über den Kopf. Die Liebe konnte ihm gestohlen bleiben.

                                                  ******************

Alice und Kokki hatten es tatsächlich geschafft. Schwer ächzend kauerten sie sich in dem engen Kellerloch zusammen, welches sie sich gemeinsam teilten. Es war nicht mehr als ein kleiner Kohleverschlag, aber es war besser als nichts. Kokkis Atem rasselte wie eine Dampflok. Alice zog sich schweren Herzens den Mantel aus, um ihn zusätzlich über seine frierende Gestalt zu legen.

„Danke Prinzessin!“ So hatte er sie anfangs immer genannt. Sie war ihm so vorgekommen. Wie eine Prinzessin, die ihr Schloss und ihren Prinzen verloren hatte und von nun an, von der Hand in den Mund leben musste. Sie war natürlich nie eine Prinzessin gewesen, doch manchmal verwendete er diesen Begriff noch. Er war vollkommen erschöpft und bereits dabei einzudämmern.

„Ich hoffe sehr, dass du ihn eines Tages finden wirst!“, hörte sie ihn noch vor sich hin flüstern.

Sie horchte auf. „Wen?“ „Den Prinzen, der dich rettet“, röchelte er leise, „der dich von all dem hier erlöst.“ Dann war da nur noch sein gequältes Atmen. Alice rollte sich nun ebenfalls zusammen.

Was sollte das denn heißen? Wo sollte denn dieser Prinz bitte schön herkommen? Während sie versuchte, die Kälte zu ignorieren, die ihr durch die Lagen ihrer Kleider kroch, begann ihre Phantasie dennoch damit, ihn sich vorzustellen. Ein Jüngling in schillernder Rüstung auf einem weißen Pferd, so wie er immer in den Märchen beschrieben wurde, die man ihr als Kind erzählt hatte.

Bevor sie einschlief, formte sich in ihrem Kopf, gedanklich doch noch ein Weihnachtswunsch:

"Wo immer dieser Prinz stecken mochte, er sollte sich bitte beeilen!“





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